Branchen­zuschläge in der Zeitarbeit – eine kleine Zwischen­bilanz

Ab dem 1. November 2012 gelten in der Zeitarbeit die neuen Branchenzuschläge. Auch wenn der Termin noch ein wenig in der Zukunft liegt, möchte ich bereits jetzt eine kleine Zwischenbilanz ziehen. Aus den Erlebnissen, die wir in rund einem Dutzend Seminare und Inhouse-Schulungen rund um das Thema sammeln konnten. Und aus den unzähligen Gesprächen mit Vertretern aus Verbänden, Gewerkschaften, Personaldienstleistern und Kundenunternehmen, die von der Einführung der neuen Tarife betroffen sind.

Eines scheint mittlerweile bei allen Betroffenen angekommen sein: Die Branchentarife stellen mehr einen Zwischenschritt in Richtung Equal Pay dar, als dass sie Endstation der tariflichen Auseinandersetzung sind. Nicht zuletzt befeuern die Gewerkschaften das Thema Equal Pay und torpedieren damit ein gutes Stück weit die Verträge, die sie selbst verhandelt und unterschrieben haben. Ein Beispiel: Kaum, dass die Tinte unter den Verträgen trocken war, fordert der baden-württembergische Verband der IG Metall Berlin auf, eine gesetzliche Regelung zu Equal Pay durchzusetzen. Ob die Gewerkschaft sich so sinnvolle Vertragsabschlüsse vorstellt, deren Ergebnisse in der Branche neben immensem Verwaltungsaufwand auch massive Kosten verursachen, sei mal dahingestellt.

Doch findet sich die Forderung nach Equal Pay nicht nur in den Gewerkschaftspostulaten, auch in der Politik scheint der Ruf nach gleichem Lohn bei gleicher Arbeit salonfähig geworden zu sein. Fast alle Parteien sehen in den ausgehandelten Branchenzuschlägen einen Zwischenstopp auf dem Weg zu Equal Pay.

Auch wenn manche in der Branche noch das Klagelied über den Preisanstieg anstimmen, ist bei den meisten Verantwortlichen in der Zeitarbeit klar: Die Frage, ob die Zuschläge gut oder schlecht sind, stellt sich nicht. Entscheidend ist, wie sie in Vertrieb und Kommunikation möglichst rasch und zielorientiert umgesetzt werden können.

Denn erstaunlicherweise gibt es immer noch zahlreiche Kundenunternehmen, die von ihren Dienstleistern noch nicht über die Veränderungen aufgeklärt wurden. Dazu zählen nicht nur kleine „Gelegenheitskunden“, sondern auch der ein oder andere Konzernkunde (!), der Mitte September noch keinen Besuch seiner Zeitarbeitsfirmen zum Thema Branchenzuschläge bekommen hat.

Klar: Es gibt noch diverse Themen, bei denen rechtliche Unsicherheit herrscht. Oder die auf unterschiedlichen Rechtsseminaren unterschiedlich ausgelegt werden. Die vor kurzem veröffentlichten Protokollnotizen bringen da auch nur teilweise Licht ins Dunkel. Das darf jedoch keine Entschuldigung dafür sein, Kunden komplett im Regen stehen zu lassen. Vertrieb und Kommunikation bilden zurzeit eine immens wichtige Schnittstelle zu den Auftraggebern der Personaldienstleister, dort muss momentan (ebenso wie im administrativen Bereich) Schwerstarbeit geleistet werden.

Erfreulich ist: Es gibt mittlerweile auch Ergebnisse, wie Personaldienstleister und Kunden das Thema Branchenzuschläge verhandeln, um die Komplexität in der Abwicklung zu umgehen – und dabei den Mitarbeiter beileibe nicht schlechter stellen als im Rahmen der Tarife vorgesehen. Die Lösungen hierfür heißen beispielsweise individuelle Stufentarife, die statt fünf Stufen nur eine oder zwei beinhalten, oder eben Equal-Pay- bzw. Equal-Pay-minus-10%-Vereinbarungen. Und allen Unkenrufen zum Trotz funktioniert das auch im viel diskutierten Bereich der unteren Entgeltgruppen. Denn in EG 6 bis 9 wird ohnehin schon oftmals deutlich über Tarif bezahlt.

Bei aller Diskussion und bei aller Fokussierung auf die Branchenzuschläge darf die Branche jedoch eines nicht vergessen: sich um die Zukunft zu kümmern. Denn nach dem 1. November (bzw. den Folgeterminen der Tarifverträge) hört die Welt nicht auf, sich zu drehen. Themen wie professionelles Recruiting, Aufbau von Arbeitgebermarken und die Entwicklung neuer Dienstleistungen (bzw. die Professionalisierung der alten) entscheiden mit, wer auch in den kommenden Jahren am Markt wirtschaftlich erfolgreich sein wird.

Insofern bin ich gespannt, wie die Branche diesen Herausforderungen begegnet. Denn diese Bilanz wird vermutlich entscheidender sein als jene, die durch die Einführung der Branchenzuschläge kommen wird.

Ein Kommentar

  1. 26. September 2012 bei 12:51

    Hallo Herr Schöning,
    ich denke Sie sprechen vielen Dienstleistern aus der Seele…
    Vielen Dank für Ihren sehr gelungenen und konstruktiven Beitrag!

    Viele Grüße von der Bergstrasse
    Markus Kärcher

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