Vor(ur)teile Zeitarbeit – Eine Branche wehrt sich!

Von Thomas Altmann, Thorsten Rensing und Stefanie Klief

Zeitarbeit polarisiert. Kaum eine andere Branche ist derart dem Zeitgeist unterworfen und steht so häufig in der Kritik. Egal wie stark sie sich weiter entwickelt, wie viele Arbeitsplätze sie schafft und erhält – es wird diffamiert und die Wahrheit verbogen.

Gleichzeitig agiert der größte Teil der Branche ruhig und fair, in der Verantwortung für den Menschen. Jenen eine Stimme zu geben, ist unser Ziel. Die sich nicht rechtfertigt, sondern der Verankerung eines Bildes von Zeitarbeit als seriöse Beschäftigungsalternative Vorschub leistet.

Vorurteil: Zeitarbeit verdrängt Stammarbeitsplätze!

Einer Studie des IAB zufolge halten sich zusätzliche und verdrängte Beschäftigungsverhältnisse die Waage:

„Betrachtet man beispielsweise einen Anstieg der Leiharbeiterzahl um 200.000 (wie in den Boomjahren 2006 oder 2010), so wären dabei in etwa 100.000 Jobs außerhalb des Zeitarbeitssektors verdrängt, aber insgesamt 100.000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse geschaffen worden.“.

Das ist für sich genommen schon ein positives Fazit der Studie, aber ohne die missbräuchliche Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) durch so genannte „konzerninterne Zeitarbeit“ würde das Ergebnis noch wesentlich deutlicher zu Gunsten der Zeitarbeit ausfallen. Gemeint ist damit folgendes:

Das Wesen der Zeitarbeit ist das Dreiecksverhältnis (Zeitarbeitsunternehmen – ZeitarbeitnehmerInnen – Einsatzbetrieb/Kunde) und die Einsatzwechseltätigkeit. Diese beiden Punkte unterscheiden die Zeitarbeit im Wesentlichen von anderen Beschäftigungsverhältnissen. Bei konzerninterner Zeitarbeit sind aber Zeitarbeitsunternehmen und Einsatzbetrieb identisch; das Dreiecksverhältnis ist gesprengt. Alleine deshalb handelt es sich bei der konzerninternen Zeitarbeit schon nicht um Zeitarbeit im eigentlichen Sinn.

Hinzu kommt, dass die Einsätze auf Dauer ausgelegt sind und dieser eine „Einsatz“ bei nur einem Einsatzbetrieb stattfindet. Die klassischen Merkmale der Zeitarbeit sind hier also gar nicht gegeben, es handelt sich vielmehr um Auslagerungsgesellschaften mit dem offenkundig einzigen Ziel, Kosten auf dem Rücken der (Zeit-)ArbeitnehmerInnen zu sparen. Beispiele für diese Schein-Zeitarbeit gibt es zur Genüge: Kirchliche Arbeitgeber wie AWO, Caritas, Konzerne wie Lufthansa, Globus, Deutsche Bahn, kommunale „Servicegesellschaften“ wie in Duisburg (Octeo), Hamburg und Fulda und anderen Städten.

ZeitarbeitnehmerInnen schützen sogar – anders als konzerninterne Zeitarbeit – die Stammbeschäftigten. Bevor ein Stammbeschäftigter betriebsbedingt entlassen wird, trennen sich die Betriebe vom Flexibilitätspuffer „ZeitarbeitnehmerInnen“. Diese werden deshalb aber nicht arbeitslos, sondern von ihrem Arbeitgeber, dem Zeitarbeitsunternehmen, in den nächsten Einsatzbetrieb vermittelt. Zusätzlichen Schutz erhalten die Stammbeschäftigten durch die Flexibilisierungsfunktion der Zeitarbeit, weil sie die Einsatzbetriebe wettbewerbsfähig hält.

Kritiker der Zeitarbeit, allen voran die Gewerkschaften, beklagen, dass die Anzahl der ZeitarbeitnehmerInnen in den letzten Jahren sprunghaft angewachsen ist. Aber 10% (!) aller ZeitarbeitnehmerInnen sind bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt, die dem DGB oder Ver.di gehören! Mit dazu gehört das schwärzeste aller Schafe: die Firma Weitblick – ein Zeitarbeitsunternehmen des DGB! Weitblick gruppiert falsch ein, hält sich nicht an den Mindestlohn und hat sich an einem Streikbruch beteiligt. Schlimmer geht nimmer!

Vorurteil: Zeitarbeiter verdienen nur die Hälfte des Stammpersonals!

Es hat in der Vergangenheit tatsächlich Beispiele gegeben, wo ZeitarbeitnehmerInnen bis zu 50% weniger Lohn bekamen als vergleichbare Stammbeschäftigte. Dort, wo die Tarife des Einsatzbetriebes besonders hoch waren, wie zum Beispiel in der Metall- und Elektroindustrie oder in der Chemie-Industrie. Diese signifikanten Lohn-Scheren sind aber über die Branchenzuschlags-Tarifverträge mittlerweile geschlossen worden. Berücksichtigt man diese Branchenzuschläge in der untersten Lohngruppe der Zeitarbeit, verdienen die ZeitarbeitnehmerInnen schon nach kurzer Anlernzeit über € 8,50 und nach neun Monaten Einsatzzeit bis zu € 12,29.

Doch der Vergleich hinkt generell: Verglichen wurden nur die Tariflöhne der Zeitarbeit, ohne die in der Zeitarbeit fast schon obligatorischen übertariflichen Zulagen mit den Tariflöhnen von zum Beispiel Metall/Elektro und Chemie, nicht aber tatsächlich gezahlte Löhne.

Tariflöhne der Zeitarbeit sind deshalb vermeintlich „niedrig“, weil diese Tarife für alle Branchen angewandt werden müssen. So verdient ein erfahrener Facharbeiter € 10,81 (Stand: bis 10/2013). Verglichen mit der Metall/Elektro-Industrie (ca. € 18,–) ist das also „niedrig“. Aber verglichen mit dem Sanitär- und Heizungshandwerk (€ 6,18 Tariflohn), dem Gartenbauhandwerk (€ 7,50 Tariflohn), der Landwirtschaft (€ 6,70 Tariflohn), dem Fleischerhandwerk (€ 6,31 Tariflohn), dem Hotel- und Gaststättengewerbe (€ 6,90 Tariflohn) oder dem Gebäudereinigerhandwerk (€ 7,56 Tariflohn) ist es hoch. So hoch, dass Branchenzuschlags-Tarifverträge in zumindest diesen Branchen obsolet sind. Vom Friseur- oder Floristenhandwerk reden wir erst gar nicht! In der Zeitarbeit werden fast immer übertarifliche Zulagen bezahlt, weil man Schlosser, Elektriker, Maler, Schreiner, gelernte Bürokräfte et cetera einfach nicht für den Zeitarbeits-Tariflohn bekommt. Hier herrscht in Zeiten des Facharbeitermangels ein „Werben um die Köpfe“ und das regelt Angebot und Nachfrage des Marktes.

Bedenkt man, dass cirka 50% aller deutschen Betriebe nicht mehr an Tarifverträge gebunden sind und nimmt die übertariflichen Zulagen der Zeitarbeit hinzu, so verliert die Lohn-Schere noch weiter an Schärfe. Aber auch im Bereich der ungelernten Hilfskräfte ist der Unterschied nicht hoch. Im Gegenteil! Fast sechs der 42 Millionen deutschen Arbeitnehmer verdienen weniger als € 8,– Stundenlohn. In der Zeitarbeit liegt der Mindestlohn bei aktuell € 8,19 (und wird voraussichtlich ab Oktober diesen Jahres durch Auslaufen der aktuell gültigen Zeitarbeits-Tarifverträge auch formal die von Gewerkschaften und SPD geforderten € 8,50 Mindestlohn erreichen oder gar übertreffen). Verdienten ZeitarbeitnehmerInnen wirklich nur die Hälfte vom vergleichbaren Stammpersonal, würde das ja bedeuten, dass ungelernte Hilfskräfte außerhalb der Zeitarbeit durchschnittlich € 16,– und mehr, gelernte Facharbeiter / Handwerksgesellen / Büroangestellte et cetera € 25,– und mehr verdienen. Und dem ist nicht so.

Auch das Zeitarbeitsunternehmen ungefähr das Doppelte des Stundenlohnes dem Einsatzbetrieb als Stundenverrechnungssatz berechnen, dient dem Lohndumpingargument. Es wird die Frage aufgeworfen, warum der Arbeitnehmer nicht zum gleichen Kurs vom Einsatzbetrieb eingestellt wird. Dabei muss man sich den Verrechnungssatz etwas genauer ansehen: Der Lohn des Arbeitnehmers macht dabei den größten Teil aus, doch beziffert der Restbetrag keineswegs den Gewinn; den zweitgrößten Anteil neben den Lohnkosten bilden die Lohnnebenkosten und Sonderleistungen (inklusive Entgeltfortzahlung bei Krankheit, Urlaub und Feiertag, Einmalzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Mutterschutz, Fahrtkostenerstattung…), sowie die Gemeinkosten (Verwaltung, Recruiting, Marketing…). Ein vernünftiger Kostenplan bezieht das Risiko eines Nichteinsatzes, bei dem die Zeitarbeiter ihren Lohn selbstverständlich fortgezahlt bekommen, mit ein. Und erst dann lässt sich die Gewinnmarge mit einem einstelligen Prozentsatz beziffern.

Lohndumping wird heute allerdings betrieben, indem man auf die kostenintensive Zeitarbeit verzichtet und die Arbeiten durch Umgehung von Tarifverträgen über Schein-Werkverträge und/oder mit Schein-Selbstständigen abwickelt. Um echtes Lohndumping zu verhindern, braucht es einen Mindestlohn. Hier liegt die Verantwortung bei der Politik.

Vorurteil: Equal Pay geht doch auch in Frankreich und den Niederlanden  – offenbar will man das in Deutschland nicht!

Natürlich könnte man Equal Pay grundsätzlich auch in Deutschland einführen. Aber es stellt sich tatsächlich die Frage: Will man das? Denn wenn man A zu Equal Pay sagt, muss man auch bereit sein B zu sagen. Das meint: In Frankreich und den Niederlanden gilt in der Zeitarbeit das sogenannte Agenturmodell. Hier werden ZeitarbeitnehmerInnen für einen einzigen Auftrag eingestellt. Dabei beträgt die durchschnittliche Dauer eines Zeitarbeitseinsatzes in Frankreich gerade einmal zwei Wochen. Endet dieser, ohnehin schon sehr kurzfristige Auftrag, ist das Beschäftigungsverhältnis – ohne dass es einer Kündigung bedarf – sofort wieder beendet. Überdies erhalten die ZeitarbeitnehmerInnen keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, Feiertag oder Urlaub, kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld, kein VWL, kein nichts! Dieses Agenturmodell hat also etwas von „Hire and Fire“ und modernem Tagelöhnertum und mit der deutschen Zeitarbeit zum Glück nichts zu tun.

Denn in Deutschland gilt das Arbeitgebermodell: Hier sind die ZeitarbeitnehmerInnen in aller Regel unbefristet und voll sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Inklusive Entgeltfortzahlung bei Krankheit, Urlaub und Feiertag, Einmalzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Mutterschutz. Also im Rahmen aller Arbeitsschutzgesetze, wie sie auch für alle anderen Arbeitnehmer gelten. Das ist ein enormer Unterschied. Fielen die Kosten für Entgeltfortzahlung und Einmalzahlungen et cetera weg, wäre auch hier ein Equal Pay möglich. Aber wer kann das sozialpolitisch ernsthaft wollen?

Zudem kommen ZeitarbeitnehmerInnen zu zwei Dritteln aus der Arbeitslosigkeit und verfügen nicht selten über Hemmnisse, die ihnen den Eintritt in den „normalen“ Arbeitsmarkt verwehren. Gebrochene Lebensläufe, Alter, Mangel an sozialen Kompetenzen, Qualifikationsdefizite oder zum Beispiel im Handwerksbereich das simple Fehlen eines Führerscheines, sind hier oft Kriterien, die es den Betrieben schwer macht, solche Mitarbeiter zu beschäftigen. Denn dadurch fehlt es Ihnen oft an Leistungsfähigkeit; sie erzielen nicht die gleiche Produktivität.

Der im ersten Moment so fair und gerecht klingende Spruch „gleiche Arbeit, gleiches Geld“ sollte also besser „gleiche Leistung/Produktivität/Wertschöpfung, gleiches Geld“ lauten.

Es stellt sich außerdem die Frage: Was ist gleiche Arbeit? Gerne wird das Beispiel vom Schlosser bei Mercedes herangezogen, welcher die linke Autotür einbaut und vom Zeitarbeiter, der die rechte Türe einbaut. Aber schauen wir uns mal den Markt ein wenig weitblickender an: Der Mercedes-Schlosser erhält für seine Tätigkeit um die € 19,– Stundenlohn. Für die gleiche Arbeit (Einbauen der rechten Autotür) erhält ein Schlosser aber zum Beispiel bei ATU gerade einmal noch die Hälfte. Mercedes verkauft Autos in die ganze Welt; ihre Produkte sind gefragt und sie verdienen sehr viel Geld mit ihren Produkten. Anders gesagt: Das Verhältnis zwischen dem Output und dem Input eines von Mercedes hergestellten PKWs ist hoch. Daraus resultiert eine hohe Wertschöpfung. ATU kalkuliert mit niedrigen Preisen, die Wertschöpfung ist am Ende längst nicht so hoch wie bei Mercedes. Mercedes kann deshalb hohe Löhne vergüten, ATU dagegen nicht. Löhne können deshalb nie „gerecht“ sein, wohl aber angemessen. Hieran erkennt man: Es kann nicht um „gleiche Arbeit“ gehen, sondern nur um „gleiche Leistung/Produktivität/Wertschöpfung“!

Folgt man diesen Gedanken nicht, braucht man nur nach Frankreich, Spanien oder Italien zu schauen um die Konsequenzen zu erkennen: 50% Arbeitslosigkeit bei jungen und alten Facharbeitern.

Vorurteil: Die Übernahmequote liegt nur bei marginalen 7%!

Zeitarbeit ist nicht nur, aber auch ein arbeitsmarktpolitisches Instrument. Sie nimmt neben der Funktion als Flexibilitätspuffer weitere Aufgaben wahr, zum Beispiel das Wiedereingliedern von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Dabei ist alleine die Tatsache, dass ehemalige Arbeitslose in der Zeitarbeit eine Beschäftigung finden, schon ein Erfolg. Doch für viele geht der Weg weiter in die Stammbetriebe. Gewerkschaften und linke Parteien monieren, dass dies mit nur 7% zu selten funktioniere. Die Erhebung (11. AÜG-Bericht, S. 54), die diese 7% markierte, stammt aus dem Jahre 2008. Der Beginn der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, in deren Folge auch die deutsche Wirtschaft abschmierte. In einer schlechten konjunkturellen Lage stellen Betriebe kaum ein; sie entlassen eher. Die „Klebequote“, also die Zahl der ZeitarbeitnehmerInnen, die zum Einsatzbetrieb wechselten, mag deshalb tatsächlich bei 7% gelegen haben.

In Zeiten guter Konjunktur stellen Betriebe jedoch deutlich mehr ein. Infolgedessen steigt auch die Klebequote. Gemäß Mittelstandsbarometer des Zeit-Arbeitgeberverbandes iGZ liegt die Klebequote (gemessen in sechs Befragungen; vom III. Quartal 2011 bis aktuell) bei über 30%. Diese Zahl sinkt in Zeiten normaler Konjunktur kaum. Eine Klebequote von 25% scheint deshalb über die Jahre und verschiedenen Konjunkturzyklen realistisch.

Vorurteil: Zeitarbeit schafft Armut!

Armut ist relativ und zunächst einmal nur eine statistische Rechengröße. Grob gesagt: Als arm gilt, wer weniger als 50% des Durchschnittseinkommens verdient. Gäbe es weniger Reiche, würden diejenigen, die heute als arm gelten, rein statistisch gesehen nicht mehr als arm gelten, obwohl sich deren Einkommen nicht verändert. Gäbe es mehr Reiche, würden Menschen, die heute zum Mittelstand zählen, statistisch als arm gelten. Das soll nicht bedeuten, dass die Vermögensverteilung in Deutschland oder der EU in Ordnung ist. Es soll aber zeigen, dass mit dem Begriff Armut in der politischen Diskussion etwas anderes gemeint ist als das, was sich die Allgemeinheit unter Armut vorstellt. So (rechnerisch, statistisch) gesehen, könnte man tatsächlich argumentieren, dass Zeitarbeit Armut schafft, weil sie zu einem Drittel – und damit mehr, als in jeder anderen Branche – Arbeit in Bereichen anbietet, die den Geringqualifizierten den Eintritt in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Dies ist jedoch zu kurz gesprungen und lässt die andere Seite der Medaille außen vor, die den Arbeitslosen wenigstens wieder in die Spur gesellschaftlicher Integration bringt  und ihm vielleicht sogar Chancen auf einen weiteren Schritt eröffnet.

Vorurteil: Die Zahl der Aufstocker ist in der Zeitarbeit überdurchschnittlich hoch!

Das ist kein Vorurteil, das stimmt sogar, impliziert aber einen falschen Gesamtzusammenhang. Aufstocken ist das Mittel des Sozialstaates, seinen  Bürgern einen Mindestlebensstandard zu garantieren, der sich an der persönlichen Lebenssituation eines Jeden orientiert – und eben nicht am Lohn. Ein Mindestlohn wird das Phänomen nicht auflösen, denn je nach Lebenssituation schwankt der sogenannte „Äquivalenzlohn“: in 2010 betrug er für Alleinstehende (in Bezug auf das Hartz IV Niveau) € 4,50 Stundenlohn, bei einem Alleinstehenden mit Kind unter sieben knapp € 6,– Stundenlohn. Bei einer Familie mit zwei Kindern lag das Hartz IV Niveau 2010 bei cirka € 1.600,– – also einem Äquivalenzlohn von ca. € 10,– Stundenlohn (alle Beträge netto).

Im Übrigen ist die Höhe des Aufstockungsbetrages bei einem Mindestlohn von € 8,19 Stundenlohn (brutto) in der Zeitarbeit in der Regel recht gering.

Die hohe Zahl an Aufstockern (nicht nur in der Zeitarbeit) weist jedoch oft auf ein immanentes gesellschaftspolitisches Problem hin: ein schlechtes Bildungs- und Weiterbildungssystem. Die Politik sollte das Grundübel an der Wurzel packen und das Bildungssystem in den Fokus nehmen, statt Zeitarbeit weiter zu reglementieren, deren „Abschaffung“ die betroffenen Menschen nicht weiter brächte als zur nächsten Arbeitsagentur.

Vorurteil: Zeitarbeit ist prekäre Beschäftigung!

Unter prekärer Arbeit versteht man untypische, weitgehend ungeschützte und unsichere Beschäftigungsverhältnisse. Dazu zählt man befristete Beschäftigungsverhältnisse, weil man als ArbeitnehmerIn nicht weiß, wie es nach Befristungsende weiter geht und Schein-Selbstständigkeit, weil die soziale Absicherung fehlt.

Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse können dazu zählen, wenn die Geringfügigkeit nicht auf Wunsch des Arbeitnehmers erfolgt, sondern der Job nur so vom Arbeitgeber angeboten wird und man diesen annimmt, weil man keine Vollzeitstelle findet.

Niedriglohnjobs sind der Klassiker, weil man von zum Beispiel € 6,– Stundenlohn seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann. Da in der Zeitarbeit in der untersten Lohngruppe „nur“ € 8,19 vergütet werden, können auch Teile der Zeitarbeit prekär sein; keinesfalls aber die Zeitarbeit in Gänze.

Zeitarbeit gilt zwar qua Definition als atypisch, aber als untypisch ist Zeitarbeit mit fast 800.000 ArbeitnehmerInnen in einer globalisierten und auf Flexibilität ausgerichteten Arbeitswelt wohl nicht mehr zu bezeichnen. Die Zahlen aus dem 11. AÜG-Bericht (aus 2008; Erhebungszeitraum: 2004-2008), wonach die Hälfte aller ZeitarbeitnehmerInnen weniger als drei Monate und 75% weniger als sechs Monate zum Zeitpunkt des Ausscheidens beschäftigt waren, sind aber mit Vorsicht zu genießen: Zu bedenken ist nämlich, dass bei der Zählung der Beschäftigungsdauern nur beendete Beschäftigungsverhältnisse mitgezählt wurden; die durchschnittliche Beschäftigungsdauer ist somit höher als im 11. AÜG-Bericht angegeben, denn langanhaltende, eben noch nicht beendete Beschäftigungsverhältnisse, werden ausgeklammert.

Allerdings kann man zumindest dann nicht ernsthaft von sicheren Beschäftigungsverhältnissen sprechen, wenn ZeitarbeitnehmerInnen nach nur einem Einsatz wieder gekündigt werden. Diese synchronen Beschäftigungsverhältnisse entsprechen nicht dem Arbeitgebermodell. Das ist zu kritisieren, denn der Tarifvorbehalt hat gerechter- und vor allem sinnvollerweise für echte Zeitarbeit mit Einsatzwechseltätigkeit zu gelten und nicht für Schein-Zeitarbeit.

Zeitarbeit ist in seiner Ausgestaltung aber vielschichtiger. Einerseits ist sie ein Sprungbrett in feste Beschäftigung. Man kann ihr die geringe Beschäftigungsdauer nicht redlich vorwerfen, wenn die Beschäftigten im Rahmen des Klebeeffektes in „feste“ Betriebe wechseln.

Andererseits gibt es viele Zeitarbeitsunternehmen, die ihre Mitarbeiter über Jahre beschäftigen. Dabei gelten selbstverständlich sämtliche Arbeitsgesetze auch für ZeitarbeitnehmerInnen. Der deutlich überwiegende Teil der Beschäftigungen arbeitet zudem in Vollzeit, unbefristet und voll sozialversicherungspflichtig.

Vorurteil: Zeitarbeit macht krank!

Die Krankenquote in der Zeitarbeit ist tatsächlich höher als in der übrigen Wirtschaft (Zahlen aus 2010: Zeitarbeiter 15 Tage AU; andere Beschäftigte 11,5 Tage). Hier werden aber Äpfel mit Birnen verglichen: In der Zeitarbeit sind zum überwiegenden Teil Mitarbeiter aus der Industrie oder dem Handwerk beschäftigt. Dass ein Schreiner oder ein Schlosser ein im Vergleich zu Bürobeschäftigten höheres Krankheits- beziehungsweise Unfallrisiko hat, leuchtet wohl jedem ein.

Wie verlogen die Kritik an der Zeitarbeit ist, zeigt aber auch die Beobachtung, dass sich Gewerkschaften wie Arbeitgeber auf die Schulter klopfen, weil sie hohe Löhne für die untersten Lohngruppen verhandelt haben. Das lässt sich als sozial verkaufen. Fakt ist aber, dass die unteren Lohngruppen des Einsatzbetriebes in erster Linie über Zeitarbeit rekrutiert werden, der hohe Lohn also vielfach gar nicht erst zur Auszahlung kommt. Heißt: In Betrieben mit einer hohen Rate an Arbeitsplätzen für ungelernte Hilfskräfte, ist der Anteil an Zeitarbeitskräften hoch. Und gerade hier sind ArbeitnehmerInnen besonders häufig körperlichen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Anders gesagt: Einsatzbetriebe setzen ZeitarbeitnehmerInnen häufig in besonders krankheits- und unfallgefährdeten Bereichen ein. Damit schieben sie das Problem der hohen Krankenraten und Unfallhäufigkeit den Zeitarbeitsunternehmen geschickt unter, die in der Folge nicht nur diesem Vorwurf ausgesetzt sind, sondern natürlich auch das Risiko der Entgeltfortzahlungen zu tragen haben.

Vorteil Zeitarbeit:

Zeitarbeit ist eine normale Beschäftigungsform. Der Unterschied liegt lediglich im Dreiecksverhältnis und in der Einsatzwechseltätigkeit. Die Volkswirtschaft braucht Flexibilitätspuffer um in einer globalisierten Welt bestehen zu können. Das ihr zugewiesene Feindbild hilft vielleicht Gewerkschaften, neue Mitglieder zu rekrutieren, schadet aber dem Arbeitsmarkt insgesamt. Am AÜG vorbei agierende Unternehmen entsprechen in ihrem Handeln jedoch kriminellen Machenschaften und gehören spürbar sanktioniert. BA-Chef Weise dazu: „Wenn das Gefühl für Anstand, Ethik und Moral verloren geht, dann braucht man unglaublich viele Regeln. Genau auf diesem Weg sind wir. Aber so lösen wir die Probleme nicht, denn die nächste Regelung wird dann wieder unterlaufen.“

Auch wenn viele Vorurteile nicht stimmen, ist längst noch nicht alles Gold in der Zeitarbeit, was glänzt. Viele Verbesserungen wurden bereits auf den Weg gebracht. Die ehemalige Wild-West-Branche Zeitarbeit, in der Goldkettchenträger ein Sklavenhalterimage aufbauten, ist in der Vergangenheit durch Einführung der Tarifverträge, der Ausbildung zum/zur Personaldienstleistungskaufmann/-frau, der Einführung des Mindestlohnes und der Branchenzuschläge sowie dem Wegfall der Schein-Gewerkschaften und deren unsäglichen Haus-Tarifverträgen bereits hinreichend domestiziert worden. Nahezu 100% aller Zeitarbeitsunternehmen sind tarifgebunden; der Markt regelt nicht alles, aber da, wo Tarife funktionieren, sollte sich der Staat zurückhalten.

Noch bestehende Missstände könnten wie folgt beseitigt werden:

  • Die Wiedereinführung des Synchronisationsverbotes ist zumindest diskutabel. Zwar ist eine weitere Reglementierung kaum wünschenswert, aber wenn sich die Branche mit Verweis auf das Arbeitgebermodell vom französischen Equal-Pay distanzieren möchte, dann muss die Einsatzwechseltätigkeit auch gelebt werden.
  • Genauer definierte Entgeltgruppenbeschreibungen in den Zeitarbeits-Tarifverträgen würden helfen, Falscheingruppierungen zu verhindern.
  • Scheinwerkverträge dürfen nicht mehr den Schutz des AÜG genießen.
  • Konzerninterne Zeitarbeit ist auf Dauer ausgelegt und nicht „vorübergehend“. Sie ist daher nach dem geltenden AÜG so ohnehin nicht mehr erlaubt; zumindest aber sollte hier der Tarifvorbehalt gestrichen werden.
  • Kurzarbeit in der Zeitarbeit ist notwendig. Es gibt keinen Grund eine normale Branche auszunehmen – davor schützt das Grundgesetz.
  • Das mittlerweile grundlose und längst überholte Verbot der Überlassung ins Bauhauptgewerbe ist aus dem selben Grund aufzuheben.
  • Last but not least: Der Begriff „Leiharbeit“ ist durchgängig durch einen wertneutralen Begriff wie „Zeitarbeit“ oder besser noch „Arbeitnehmerüberlassung“ zu ersetzen. Leihe ist dem BGB nach kostenlos, Zeitarbeit betreibt aber gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung. Zudem können nur Dinge und Sachen ent- und verliehen werden, nicht aber Menschen. Vor allem aber: Der Begriff Leiharbeit diskriminiert die ZeitarbeitnehmerInnen, denn er ist abwertend besetzt.

Ob die Umsetzung dessen die Kritiker endgültig verstummen lassen wird, bleibt fraglich und unser Ansatz zeigt, dass das Thema Zeitarbeit zu komplex ist für einfache Lösungen. Doch scheuen wir uns nicht, immer weiter nach Verbesserungen zu streben.

Die Autoren des Artikels

Thomas Altmann ist Mitglied der Geschäftsleitung der in Oberhausen ansässigen Hoffmann Personaldienstleistungsgruppe. Er ist seit knapp 25 Jahren in verschiedenen Positionen in der Zeitarbeit tätig und engagiert sich ehrenamtlich im Zeitarbeitgeberverband iGZ als Regionalkreisleiter für das westliche Ruhrgebiet und in der Tarifkommission.

Thorsten Rensing, Co-Autor, ist Management Partner bei Loh + Team Consulting und Inhaber eines regionalen Zeitarbeitsunternehmens in Köln. Er studierte Lehramt an der Universität zu Köln und in einem Zweitstudium Wirtschaftsjura an der EURO FH und Boston Law School. Seit 2000 ist er der Zeitarbeit in verschiedenen leitenden Funktionen mit kaufmännischen und organisatorischen Fragen verbunden. Seit 2012 ist er Dozent beim iGZ und der ZP1 Akademie für Zeitarbeit in den Bereichen Branchenzuschlagtarifen, Kalkulation und Strategieentwicklung.

Stefanie Klief, Co-Autorin und Lektorat, ist Juristin und Wissenschaftsredakteurin. Insgesamt 20 Jahre Erfahrung mit und in (inhabergeführter) Zeitarbeit schärften ihren Fokus auf Personaldienstleistungen. Als freiberufliche Lektorin und Texterin bündelt sie ihre Sachkenntnis in ihrem Angebot für Zeitarbeitsunternehmen: www.lektoratexten.de

 

Illustration: Designed by Freepik

2 Kommentare

  1. 18. Oktober 2013 bei 14:19

    Ein interessanter Beitrag, auf den ich durch eine Mail von markenfrische heute gestossen bin.
    Die Rolle von Politik und Gewerkschaften wird in der Öffentlichkeit viel zu wenig unter dem Nutzenaspekt diskutiert. Auch in diesem Artikel steht kein Wort von der Bedeutung, die die Zeitarbeitsbranche im Umsatzsteuerbereich hat.
    Gänzlich fehlt mal wieder der Blick auf die Zeitarbeitswirklichkeit aus der Perspektive der kleinen Zeitarbeitsunternehmen. Diese müssen sich schon immer an das Gesetz halten, können sich ihre Welt nicht nach eigenem Gutdünken gestalten. Wir sind keine „Tarifpartner“, erfinden keine eigenen Gewerkschaften und kungeln keine Tarifverträge aus. Für uns gilt immer equal pay. Diese kleinen Unternehmen leiden aber an dem vernichtenden Image, das durch Politik, Gewerkschaften und bestimmte Zeitarbeitskonzerne erzeugt wird.
    Eine Anmerkung zum Schluss: Klebefaktor ist ein Neusprech, den ich nicht verwende, aber: In unserem Unternehmen liegt die Übernahmequote bei nahezu 100%.

  2. 14. Juli 2015 bei 16:52

    Ein richtig guter Beitrag, der mit vielen Vorurteilen aufräumt! Ich finde, dass jetzt auch die Zeitarbeitsfirmen nachziehen müssen, um ihr Image noch mehr aufzupolieren. Weg vom Bild der Leihbude mit den charakterlosen Büros am Hauptbahnhof. Weg von den langweiligen, tristen Webseiten mit den Standardjobs. Hier muss sich die Branche wandeln. Zeitarbeitsfirmen können zeigen, dass Arbeitnehmerüberlassung eine echte Chance ist, dass sie ihre externen Mitarbeiter wertschätzt und diese den Dienstleister eher als Personalberater und als Sparingspartner wahrnehmen. Zeitarbeit muss moderner gestaltet werden. Das fängt bei offenen Büros an und hört bei einer ansprechenden, persönlichen Webseite auf. Dadurch werden mehr Bewerber kommen und dadurch kommt es zu mehr Einsätzen. Und das sollte doch auch im Interesse der Zeitarbeitsfirmen sein.

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